Wenn das Wort zum Bild wird
Ist das Buch besser oder der Film?
Bei der Diskussion zwischen Bibliophilen und Cineasten, Leserinnen und Lesern sowie Zuschauerinnen und Zuschauern stellt sich diese Frage unweigerlich. Und sie kann nur von Fall zu Fall beantwortet werden, da jede Kunstform ihre eigene Besonderheit hat. Die Worte von Italo Calvino, einem großen Filmliebhaber, dazu sind glasklar: „Erzählen in der Literatur und Erzählen im Kino sind Abläufe, die nichts gemeinsam haben. Bei ersterem geht es darum, mit notwendigerweise allgemeinen Worten präzise Bilder hervorzurufen, bei letzterem darum, mit notwendigerweise präzisen Bildern allgemeine Gefühle und Gedanken hervorzurufen.“
Es war einmal ein kleines Buch, das zu einem Filmepos wurde
Das stimmt natürlich, wie Mauro Mazza, außerordentlicher Beauftragter Italiens als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2024, mit einem Beispiel über das Wort, das zum Bild wird, in Erinnerung ruft:
„Im Fall von Es war einmal in Amerika ist die Antwort sehr einfach: Viele wissen nicht, dass Sergio Leones Meisterwerk, das vor 40 Jahren in Italien erschien, auf Harry Greys Autobiografie The Hoods aus dem Jahr 1952 basiert. So wurde ein in Italien fast unbekanntes Buch dank eines italienischen Filmemachers zu einem erfolgreichen Film.“
Einige Jahre später, immer noch in den USA, wurde der Roman Psycho von Robert Bloch geschrieben und 1960 von Alfred Hitchcock verfilmt. Dieser kaufte alle auf dem Markt befindlichen Exemplare des Romans auf, damit die Zuschauer das Ende nicht im Voraus lesen konnten. Eine wirklich revolutionäre Methode gegen Spoiler, die die Komplexität der Beziehung zwischen Film und Erzählung veranschaulicht.
Einen Film durchblättern, ein Buch anschauen
Auch darüber wird im italienischen Pavillon auf der Frankfurter Buchmesse diskutiert, moderiert von Regisseur Pupi Avati und der Regisseurin und Produzentin Simona Ercolani. Pupi Avati hat sich beim außerordentlichen Beauftragten Mauro Mazza bedankt und erklärt, er fühle sich „sehr geschmeichelt von der Chance, an einer kulturell so bedeutenden Initiative teilzunehmen“. Er wird die Figur seines geliebten Dante in den Mittelpunkt des Gesprächs stellen (der Regisseur hatte dem großen Dichter im Jahr 2022 einen Film gewidmet).
Avati hat sich schon immer für die Beziehung zwischen Büchern und Kino interessiert und sagte kürzlich in einem Interview mit Sole24 Ore: „Die Beziehung zu einem Buch ist etwas Besonderes, weil es eine Eins-zu-Eins-Beziehung sein kann. Im Kino ist das anders, ich spreche nicht zu einer Person, sondern zu einem Publikum. Dennoch bin ich ein großer Sympathisant digitaler Plattformen, denn dort kann eine einzelne Person meinen Film sehen, ihn stoppen, wieder starten und zurückspulen, genau wie bei den Seiten eines Buches.“
„Show, don't tell“, so lautete das von Ernest Hemingway empfohlene Gebot für gutes Schreiben, für essenzielle, dialogreiche Prosa. Ein Gebot, das für Autorinnen und Autoren, die sich ihre Geschichten bereits als Filme vorstellen, nach wie vor aktuell ist. Aber Vorsicht, jenes „Kopfkino“, von dem Calvino in seinen Lezioni Americane sprach, sollte man vielleicht nicht allzu wörtlich nehmen und der Literatur überlassen, was Literatur ist.
Das Werden der Künste
Neue Phänomene einzufangen, sie mit den Erfahrungen der Vergangenheit zu vergleichen, um sich die Zukunft vorzustellen und vorurteilsfrei in das Werden der Künste einzutauchen, ist eines der Ziele von Italien als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse.
Die neue Ära mit Streaming und Plattformen hat die Kombinationsmöglichkeiten verschiedener Ausdruckssprachen vervielfacht. Man denke nur an den Erfolg der RAI-HBO-Fernsehserie, die auf der vierbändigen Saga von Elena Ferrantes L’amica geniale (Meine geniale Freundin) beruht und deren letzte Staffel am 20. August auf dem Tribeca Film Festival in New York anlief. Die Begeisterung, die Elena Ferrante in den USA zuteilwird, zeigt sich auch in der Würdigung der New York Times, die My brilliant friend zum besten Buch des 21. Jahrhunderts erklärte. Aber auch wenn Elena Ferrante in Frankfurt nicht anwesend sein wird und „our brilliant absent“ bleibt, wird von anderen Verlagserfolgen die Rede sein, die einen Teil ihrer Bekanntheit der Schnittmenge von neuen Medien, sozialen Netzwerken und Schriftstellerei zu verdanken haben. Zum Beispiel gilt das für Erin Doom und ihren Fabbricante di lacrime, der als Fortsetzungsroman auf der sozialen Leseplattform Wattpad veröffentlicht wurde und zu einem unbestrittenen Bestseller und anschließend zum meistgesehenen italienischen Film auf Netflix wurde. Die unter dem Pseudonym Erin Doom schreibende Autorin, die sich anfangs nur ungern in der Öffentlichkeit zeigte, wird an der Buchmesse präsent sein und über ihre einzigartigen Erlebnisse auf dem Weg von der Selbstveröffentlichung zur Leinwand berichten.
Und dann folgt ein kurzer Exkurs zu den zahlreichen Serien und Filmen, die gerade gedreht werden und die die erneuerte Beziehung zwischen Wort und Bild im Einklang mit den neuen Verwirklichungskanälen bestätigen: die zweite Staffel des Herrn der Ringe zur Freude aller Fans von J.R.R. Tolkien, die Miniserie Leopardi - il poeta dell'infinito, die an den Filmfestspielen von Venedig uraufgeführt wurde, I Leoni di Sicilia, die Ende September auf RAI frei ausgestrahlt wird, während wir auf den neuen Netflix-Koloss Il Gattopardo warten, der nun mit Viscontis Meisterwerk konkurrieren muss. Und mit der zweiten Staffel von Tutto chiede salvezza nach dem Roman von Davide Mencarelli wird die Liste der Neuproduktionen von Tag zu Tag länger und bestätigt, dass Bücher nach wie vor eine Quelle von Geschichten und eine Inspiration für die kleine und große Leinwand sind.
Also: lieber den Film oder das Buch? Diese Frage wird nie vollständig beantwortet werden können. Deshalb zitieren wir am besten Hitch, der, als er von François Truffaut zu diesem Thema befragt wurde, antwortete: „Sie kennen sicher die Geschichte von den beiden Ziegen, die den Film eines sehr erfolgreichen Buches gefressen haben. Irgendwann sagte die eine Ziege zur anderen: Für mich war das Buch besser.“ Und was machen wir mit der Serie?
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