Italien als Ehrengast 1988-2024: eine Zeitreise
Italien durchlebte gerade ein goldenes Zeitalter der Literatur – der Erfolg von Umberto Eco als treibende Kraft hinter dem internationalen Glanz der italienischen Belletristik ist nur mit dem heutigen „Ferrante-Fieber“ vergleichbar, trotz der bewussten und offensichtlichen Abwesenheit der Autorin – und unser Land war der ideale Kandidat vor den beiden anderen Optionen: Frankreich, das zu sehr mit der Organisation der Zweihundertjahrfeier der Französischen Revolution beschäftigt war, und Japan, das zeitlich und organisatorisch weniger flexibel war.
Wie waren wir damals?
Die Berliner Mauer war noch nicht gefallen, der EU-Gipfel in Mailand hatte den gemeinsamen Binnenmarkt und den Euro eingeläutet, Deutschland stand kurz vor der Wiedervereinigung, und in Italien war die Kulturwelt so aktiv wie eh und je: Nuovo Cinema Paradiso (Cinema Paradiso), der Film von Giuseppe Tornatore, der später einen Oscar gewinnen sollte, kam in die Kinos, Umberto Ecos Il Pendolo di Foucault (Das Foucaultsche Pendel) versuchte in den Buchhandlungen an den Erfolg seines Vorgängers anzuknüpfen, die Leute suchten in den Geschäften nach dem nicht existierenden Cacao Meravigliao, dem allerersten Fake-Produkt, das als imaginärer Sponsor der TV-Show von Renzo Arbore entstanden war. Pop, Postmoderne und eine neue Fernseh-Ära zeichneten sich langsam ab. Jovanotti sang in jungen Jahren È qui la festa.
Und das Fest war da, ein großes Fest in Frankfurt.
Ein kurzer Blick ins Gästebuch zeugt davon: Natalia Ginzburg, Leonardo Sciascia, Elsa Morante, Alberto Moravia, Oriana Fallacci, Luciano de Crescenzo, Pier Vittorio Tondelli.
Beim Durchsehen der Namensliste verspüren Buchfans vielleicht etwas Sehnsucht, aber es wäre besser, diese als „Verwurzelung“ zu bezeichnen, in Anlehnung an das Motto „Verwurzelt in der Zukunft“ für Italien als Ehrengast 2024. Denn so wird aufgezeigt, dass Autorinnen und Autoren der Vergangenheit, auch der jüngsten Vergangenheit, nicht nur von internationaler und kultureller Bedeutung sind und im Ausland weiterhin gelesen werden, sondern auch in der Gegenwart und Zukunft wertvolle Kulturmittler sind und sein werden. Claudio Magris und Dacia Maraini, die auch an der diesjährigen Ausgabe dabei sein werden, sind das passende Beispiel.
Im Hinblick darauf und mit dem Ziel, das Privileg der Literatur hervorzuheben, Brücken zwischen verschiedenen Orten und Zeiten zu schlagen, können Besucherinnen und Besucher des italienischen Pavillons dieses Jahr jenen Autorinnen und Autoren des letzten Jahrhunderts in der Fotoausstellung „60 italienische Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts“ begegnen, deren Werke in Deutschland übersetzt wurden.
Damals ein berühmter Bühnenbildner, heute ein großer Architekt: der italienische Pavillon verblüfft immer wieder
Schon 1988 war der italienische Pavillon ein Ort voller Überraschungen: Der Bühnenbildner Mario Garbuglia, der als „Viscontis Szenograph“ bekannt ist, weil er unter anderem die Kulissen für Il Gattopardo (Der Leopard), aber auch für die Filme von Monicelli und Pasolini kreiert hatte, schuf eine Buchzitadelle, eine Art Labyrinth, das mit den großen Namen der italienischen Kultur geschmückt war. Das benediktinische Scriptorium, das für den Film Der Name der Rose wieder aufgebaut wurde, hieß die Gäste in den geheimen Windungen des Wissens willkommen, so wie das Studiolo der Renaissance, das dazu einlädt, verschiedenste Mirabilia aus der Vergangenheit zu bewundern.
Der magische Künstler von Cinecittà damals, der sowohl Lob als auch Kritik erntete (ein Handwerker auf der Buchmesse?), und der bekannte Architekt Stefano Boeri heute – beide engagieren sich für die Wiederbelebung und Erneuerung bedeutender Seelenorte. Damals war es das Caffè degli specchi, ein Ebenbild der berühmten italienischen Cafés, und heute das Caffè Letterario im Herzen der Piazza, das zusammen mit der Arena, in der die Begegnungen mit den Autorinnen und Autoren stattfinden werden, als Treffpunkt für all jene dient, die sich mit Literatur beschäftigen: Ein Konzept mit Räumen und Methoden, die immer offen für Dialog sind und eine entschieden multikulturelle Dimension mitbringen.
Eine Hommage an die Vergangenheit, eine Erzählung der Gegenwart, eine Vorstellung der Zukunft
Ebenfalls präsent war die Mode, mit Armani und Versace natürlich, als Botschafter des Made in Italy, das sich überall durchzusetzen begann. Es gab Ausstellungen wie Guido Reni und Europa, Brunelleschi und seine Stadt, Zeichnungen aus dem 17. Jahrhundert und Avantgardekunst – gestern Bodoni, heute Aldo Manuzio und Machiavelli, der Fürst der politischen Vernunft, und Goethe, der Reisende auf der typischen Grand Tour, brachten das nötige Engagement ein, um das Nonplusultra der Kreativität und jene „Geschichten des menschlichen Geistes, die nationale Grenzen sprengen“ zu verbreiten, wie im Diario Italiano (Italienisches Tagebuch), einer Publikation für die Buchmesse 1988 stand.
Auch Kino, Fotografie und Gastronomie waren mit Ausstellungen wie Italia degli Alinari, Giulietta Masina und Mangiar leggendo in einem Programm voller Einblicke und Perspektiven vertreten. Da waren Federico Fellini, Claudio Abbado und andere große Namen, es gab die Oper, eine Kunstform, die auch in diesem Jahr einen Kontrapunkt zur Literatur darstellen wird, und zwar mit einer Reihe von Konzerten mit dem erstklassigen Reigen aktueller Produktionen.
Natürlich war zu dieser Zeit noch nicht die Rede von künstlicher Intelligenz, Websites und Digitalisierung, von Panels über Wattpad, Tik-Tok, E-Books und Buch-Influencern, Podcasts und Hörbüchern: Heute schreiben wir eine komplett neue Zukunft, trotz oder dank ChatGPT.
Auch das gehört zu den Aufgaben von Italien als Ehrengast 2024 der Frankfurter Buchmesse: die Vergangenheit würdigen, die Gegenwart erzählen und die Zukunft vorstellen. Zu wissen, wie wir waren, um weiter durch die Zeit zu reisen.