Zielort Frankfurt. Das Morgen neu lesen.
Ändert sich die Sprache, ändert sich die Figur
Die Sprache – sowohl die der Bücher als auch die der Diskussionen über Bücher – passt sich den zeitgenössischen Rhythmen an, die die Macht der Kritik vermeintlich verschleiern: Es wird mehr emotionalisiert und dadurch gezwungenermaßen weniger rationalisiert und verinnerlicht.
Der „tiefgründige Leser“ wird vom medienübergreifenden Leser abgelöst, der im „Schnellscroll“-Modus unbefangen von Text zu Text und von Gerät zu Gerät springt. Darüber hinaus weht häufig auch die Meta-Sprache als polemischer Fan-Club-Sprech aus den sozialen Medien herüber.
Bisweilen passt sich die Figur an und versucht, die Geschichte voranzubringen und den Leser zu rühren, während der Autor ihn bei jeder Gelegenheit und mit allen Mitteln an der Hand nehmen muss, um selbst zur Figur und zu einem geübten Selbstdarsteller zu werden – schwierige Zeiten für Schüchterne.
Dafür steht paradigmatisch nicht zuletzt der Fall der Autorinnenfigur Elena Ferrante, die einen Teil ihres Erfolgs wohl gerade ihrer Nichtgreifbarkeit verdankt, die der „ohrenbetäubenden Stille“ der abgedroschensten, aber wirkmächtigsten Oxymora entspricht.
Booktoker, Hörbücher und Podcasts
Neue Phänomene drängen ins Rampenlicht. Einer dreizehnjährigen Booktokerin ist es gelungen, die Absatzzahlen eines Buches wenige Jahre nach dessen Veröffentlichung zu vervielfachen, wie im Fall von Madeline Millers Das Lied des Achill und anderen erfolgreichen „Tränendrüsendrückern“: Romanzen und Fantasy, Horror und Thriller erobern die sozialen Medien der jungen Erwachsenen, und es sei die nicht unwesentliche Frage gestattet, was wohl passiert, wenn die Verlage das Phänomen erst für sich entdecken und sich von oben herab auf dieses horizontale Territorium stürzen? Wird die Generation Z auf TikTok bleiben oder zu neuen Ufern aufbrechen? Und wenn ja, zu welchen?
Hörbücher können die alltäglichsten Verrichtungen begleiten; die Gewohnheit, Kopfhörer aufzusetzen, hat sicherlich dazu beigetragen, dass nicht nur Musik, sondern auch Geschichten in einer Hi-Tech-Version der berühmten Hörspiel-Märchen konsumiert werden, die die Generation der Boomer so sanft wie nachhaltig beeinflusst haben. Und so können Hörbücher ihrerseits als Wegbereiter herkömmlicher Bücher dienen, sowohl was die Wiederentdeckung von Klassikern anbelangt als auch die Förderung neuer Autoren, die aus dieser positiven Rückwirkung Nutzen für die eigene Bekanntheit ziehen, wenn mehr oder weniger berühmte Leser ihren Werken ihre Stimme leihen.
Darüber hinaus werden Podcasts zu neuen Informationsmedien, sei es als Konkurrenten oder Verbündete gedruckter Zeitungen: Umfragen und Einblicke in Hörweite, um guten Journalismus als Wohlklang zu konsumieren.
Und wo bleiben die traditionellen Medien?
Während früher Auftritte in bekannten Fernsehformaten die Absatzzahlen in ungeahnte Höhen katapultieren konnten, spricht man heute in oberflächlichen Sendungen tendenziell eher über die Autoren selbst – sowie ihre kulinarischen, religiösen oder erotischen Vorlieben – und nicht über ihre Werke. Folglich scheint die ihren Büchern zuteil werdende Aufmerksamkeit eher auf einschlägige Fachsendungen beschränkt, denen - deo gratias - immer noch interessierte Leser folgen.
Auch das Radio scheint der gleichen Logik zu folgen: Im schwierigen Gleichgewicht zwischen Nische und Markt können Bücherprogramme noch immer zum Umsatz beitragen. Alles, was hingegen im Rahmen der Umwandlung von imaginärer Literatur in eine Lebensgeschichte Aufsehen erregt, kann Autoren der breiten Öffentlichkeit bekannt machen, aber nicht notwendigerweise das Verkaufsranking beeinflussen – der Behälter droht, den Inhalt zu fressen.
War es bis vor wenigen Jahren noch gang und gäbe, dass die Bewertung durch renommierte Kritiker den Erfolg eines Buches und seine Bekanntheit auslöste, so wird die Analyse des Werks heute in gedruckter Form ebenso oft durch Interviews mit dem Autor ersetzt und wiederholt sich auch auf Papier die bereits oben erwähnte Dynamik.
Um Bücher zu besprechen, entstehen dann neue Blogs und Literaturzeitschriften und schießen Online-Präsentationen ins Kraut, finden sich viele Lesergemeinschaften in physischen bzw. virtuellen Gruppen wieder, wo sie Interessen teilen, lesen und gemeinsam über das zwar romantisch belegte, jedoch durchaus futuristische Objekt sprechen, das nach wie vor und unverändert Buch heißt, was nicht vergessen werden sollte.
Multitasking und der amphibische Leser
Es ist also von entscheidender Bedeutung, sich nicht nur zu fragen, wie die Bücher von morgen aussehen, sondern auch, wie deren Leser aussehen werden: Wenn es wahr ist, was die Neurowissenschaften behaupten, dass der entmaterialisierte Konsum die neuronale Aktivität verändert, was passiert dann mit all den „Multitaskern“, die sich durch ständiges Zappen hervortun, sobald sie auf „amphibische Bücher“ treffen, die als Print-, Video- und Audioformat gleichermaßen vorliegen?
So lautet eine der vielen Fragen, die während der Veranstaltung Più libri più liberi in Rom gestellt wurden. Italiens Rolle als Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2024 wird auch der Versuch sein, darauf eine Antwort zu finden.